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Wie ein Gelähmter mit Roboterhilfe wieder gehen kann

Mit 18 Jahren hatte Gregor Demblin einen Unfall, seither sitzt er im Rollstuhl. Doch jetzt kann er wieder Schritte machen – mit der Hilfe eines Exoskeletts.

Gregor Demblin war auf Maturareise. Er sprang ins Wasser – und als er das nächste Mal die Augen öffnete, befand er sich im Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Die Diagnose: Querschnittslähmung. „Für mich brach eine Welt zusammen. Ich wollte mit einem One-Way-Ticket in die USA reisen und schauen, was mich dort erwartet. Dieser Plan stürzte ein wie ein Kartenhaus.“ Gerade mal 18 Jahre alt war er beim Unfall. Die Ärzte gaben ihm keine Hoffnung, dass er den Rollstuhl je wieder verlassen könne. „Statt des Abenteuers USA lag ich nun auf der Intensivstation. Mein erster Gedanke war: Warum hast du das nur überlebt?“

Mit seiner Beeinträchtigung ist Demblin nicht alleine. Weltweit gibt es rund drei Millionen querschnittsgelähmte Personen. Die Ursache einer Querschnittslähmung ist immer eine Schädigung des Rückenmarks, diese kann angeboren sein oder auch durch einen Unfall verursacht werden. Gehen ist für Betroffene dann nicht mehr möglich. Doch Gregor Demblin hat 20 Jahre nach seinem Unfall dennoch einen Weg gefunden – mit der Hilfe eines Exoskeletts.

Jede Bewegung wieder lernen

Für den jungen Mann war die nächste Station das Reha-Zentrum. Dort lernte er ganz normale Dinge wieder, selbstständig essen etwa, schreiben, Zähne putzen. Doch er wollte mehr – und trainierte täglich intensivst: „Ich war mir ganz sicher, wenn irgendwer auf der Welt es schafft, nach einer Querschnittslähmung wieder gehen zu lernen, dann bin ich das. Ich war jung, ich war motiviert, ich war sportlich.“ Und obwohl die Therapien bereits um 16 Uhr endeten, drehte Demblin noch stundenlang seine Runden mit dem Rollstuhl, um Kraft aufzubauen.

Nach einem Jahr holte ihn dann der behandelnde Arzt zu sich, um ihm klarzumachen, dass die Verletzungen einfach zu groß seien: „Er sagte mir, dass ich der Realität ins Auge blicken müsse. Nach einem Jahr konnte ich nicht einmal mit der kleinen Zehe wackeln. Da wurde mir bewusst, dass die Zeit im Rollstuhl nicht nur eine vorübergehende Phase ist.“ Zwar hatte er in dem Jahr tatsächlich enorme Fortschritte gemacht: „Ich musste ja jede kleine Bewegung wieder üben. Aber von der fixen Idee, dass ich das Reha-Zentrum nur gehend verlassen werde, musste ich mich verabschieden.“ Der junge Mann musste lernen, dass man auch im Rollstuhl das Beste aus der Situation machen kann: „Es war kein leichter Weg, aber mittlerweile bin ich verheiratet, habe vier Kinder und sogar zwei Unternehmen aufgebaut.“

Neue Hoffnung

Ein entscheidender Wendepunkt war, als Demblin vom Exoskelett erfuhr – da waren ungefähr 20 Jahre vergangen. Dieser Apparat stützt den Körper und ermöglicht durch elektrisch betriebene Motoren ein sicheres Stehen und Gehen. Die Beine werden bewegt und somit die Arbeit der Muskeln teilweise oder auch komplett ersetzt. Als Gregor Demblin zum ersten Mal ein Video über ein Exoskelett sah, war er „wie besessen von der Idee, das auch auszuprobieren“.

Und obwohl mehrere Ärzte seine Hoffnung, mit einem Exoskelett wieder laufen zu können, zunichtemachten, gab er nicht auf. „Ich habe mich trotzdem von meinem Vorhaben nicht abbringen lassen und begab mich auf die Suche.“ Schließlich wurde er in Deutschland fündig. Der Physiotherapeut Dennis Veit besaß ein Exoskelett, und nach einigen Gesprächen, und trotz der Bedenken der Ärzte, fuhr er damit zu Demblin nach Wien. „Wegen der Lage von Gregors Rückenmarksverletzung waren die Ärzte vermutlich der Ansicht, dass die am Markt erhältlichen Systeme für ihn nicht geeignet seien“, meint der Physiotherapeut.

Und genau da sieht Veit das Problem: „Es gibt auch heute, zehn Jahre nach Markteinführung exoskelettaler Systeme, noch deutliche Wissenslücken, obwohl viele von dieser Technologie profitieren können.“ Mobile und stationäre Exoskelette sind für Menschen mit Erkrankungen aus dem gesamten neurologischen Spektrum geeignet. „Die großen Indikationsgruppen sind Schlaganfall, Rückenmarksverletzungen, Multiple Sklerose, Schädel-Hirn-Traumata und Zerebralparesen“, weiß der Experte.

Vergessene Perspektive der Welt

Und tatsächlich, nach über 20 Jahren, die Gregor Demblin rein sitzend verbringen musste, konnte er mit der Hilfe des Exoskeletts das erste Mal wieder aufstehen: „Das war ein absolut unbeschreibliches Gefühl. Ich hatte völlig vergessen, wie groß ich eigentlich bin und wie die Welt aus der stehenden Perspektive aussieht. Beim ersten Training habe ich auch gleich 400 Schritte gemacht. Das war einfach völlig unbeschreiblich für mich.“

Physiotherapeut Veit weiß, wie wichtig diese Bewegung für Menschen im Rollstuhl ist: „Die meisten neurologischen Erkrankungen haben eine stark verminderte Mobilität und Aktivität der Betroffenen zur Folge. Dies fördert unter anderem Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Osteoporose, Harnwegsinfekte, offene Hautstellen oder auch Depressionen.“ Die Folge ist eine hohe Sterblichkeitsrate auch bei jüngeren Betroffenen. „Stellen Sie sich einen zehnstündigen Non-Stop-Flug in die USA vor. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie währenddessen nicht einmal aufstehen konnten? Das erleben viele unserer Patientinnen und Patienten Tag für Tag.“

Für Demblin eröffnete das Trainingsgerät eine vergessene Welt – und er tat alles, um es auch nach Österreich zu bringen: „Ich wollte, dass auch andere Menschen in meiner Situation davon profitieren können.“ Aus der Idee entstand seine Firma Tech2People, ein Zentrum für robotische Neurotherapie, in dem robotische und auch klassische Physiotherapie angeboten wird.

Die positive Wirkung ist für ihn ganz klar: „Ich trainiere seit fünf Jahren regelmäßig. Und seitdem geht es mir gesundheitlich viel besser. Ich habe weniger Infekte und muss keine Antibiotika mehr nehmen, die ich vorher ständig einnehmen musste.“ Und auch wenn die Roboteranzüge derzeit nur für den Trainingsbereich und nicht im Alltag eingesetzt werden können, ermöglichen sie zumindest für kurze Zeit eine Pause vom Rollstuhl.

Quelle: Wie ein Gelähmter mit Roboterhilfe wieder gehen kann – Gesundheit – derStandard.de › Wissen und Gesellschaft (17.10.2022)

Tom Illauer

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